„Gerade in der Anfangsphase gilt: „Spaghetti an die Wand werfen und schauen, was kleben bleibt.“"

v.l.n.r.: Linda Lingenauber, Mariama Ami Diop, Johannes Kern und Charlotte Herboth

Interview mit Linda Lingenauber von RecyCoal GmbH

RecyCoal ist ein Aachener Start-up, das Technologien zur Herstellung von Pflanzenkohle-Dünger für Subsahara-Afrika entwickelt. Der Dünger verbessert die Wasser- und Nährstoffspeicherung im Boden und steigert so Erträge in trockenen Regionen. Lokale Partner werden befähigt, den Dünger selbst zu produzieren, zu nutzen und zu verkaufen. Gleichzeitig wird die entstehende CO₂-Speicherung über eine App dokumentiert und als zertifizierte CO₂-Zertifikate auf dem deutschen Markt gehandelt. So verbindet RecyCoal Klimaschutz mit lokaler Wertschöpfung und nachhaltiger Landwirtschaft.

Idee und Motivation

Was hat euch inspiriert, eine Technologie zur Herstellung von Pflanzenkohle-Dünger zu entwickeln?

Linda Lingenauber: Die Anfänge von RecyCoal liegen in der studentischen Initiative Enactus Aachen e.V. Dort haben wir uns schon seit 2019 mit Pflanzenkohle-Anwendungen befasst und vor allem unsere Faszination dafür entdeckt. Besonders inspiriert uns die Kombination von aktivem Klimaschutz und Landwirtschaft - und das mit einem Konzept, das aus der Natur stammt. Pflanzen speichern Kohlenstoff durch Photosynthese, der beim Verrotten oder Verbrennen normalerweise wieder freigesetzt wird. Genau hier setzen wir an und bringen diesen Kohlenstoff in eine stabile Form: Pflanzenkohle. 

So speichern wir aktiv, langfristig und in hoher Qualität CO₂ und leisten gleichzeitig einen positiven Beitrag zur Bodenstruktur. 

Warum habt ihr euch entschieden,RecyCoal GmbH in NRW zu gründen? Welche Vorteile bietet euch der Standort – z. B. in Bezug auf Netzwerk, Förderung oder Märkte?

Linda: Fast unser ganzes Team hat sich an der RWTH Aachen kennengelernt, weshalb es zunächst naheliegend war, in NRW zu gründen. Tatsächlich haben wir vom Standort sehr profitiert. Angefangen bei ersten Accelerator-Programmen an der RWTH wie dem Ideation Program, über impact-getriebene Programme wie die Impact Factory bis hin zu weiterführenden Angeboten wie Ignition, konnten wir hier sehr viel Wertvolles mitnehmen. 

Technologie und Innovation

Auf welcher technologischen Grundlage basiert die Herstellung eures Pflanzenkohle-Düngers und was unterscheidet euren Ansatz von bestehenden Lösungen am Markt?

Linda: RecyCoal setzt auf ein dezentral einsetzbares, ressourcenschonendes Pyrolyseverfahren, das mit minimalem technischem Aufwand betrieben werden kann. Unsere Anlagen lassen sich flexibel an lokale Bedingungen und verfügbare Reststoffe anpassen – ideal für Kommunen, kleine und landwirtschaftliche Betriebe.

Trotz der bewusst einfachen und robusten Technologie erfüllen unsere Prozesse höchste Qualitäts- und Nachhaltigkeitsstandards. Das Ergebnis ist eine zertifizierte, hochwertige Pflanzenkohle, die CO₂ speichert, Böden verbessert und regionale Stoffkreisläufe stärkt.

Mit welchen technischen Herausforderungen wart ihr bei der Entwicklung konfrontiert – und wie habt ihr sie gelöst?

Linda: Zu Beginn haben wir größere Pyrolyseanlagen entwickelt und Prototypen in Aachen und im Senegal aufgebaut. Dabei haben wir festgestellt, dass diese Systeme für die Bedingungen unseres Einsatzgebiets aktuell nicht geeignet waren. 

Daraufhin haben wir unsere Technologie grundlegend vereinfacht – hin zu einem robusten, dezentral einsetzbaren System, das mit lokalen Materialien betrieben und leicht gewartet werden kann. So konnten wir die Effizienz und Qualität beibehalten und gleichzeitig die Anwendbarkeit und Skalierbarkeit deutlich erhöhen.

Gründung und Aufbau

Wie verlief euer Weg von der Idee zur Gründung?

Linda: Wir haben 2019 im Rahmen einer studentischen Initiative angefangen, an der Idee zu arbeiten – damals noch ganz experimentell. Über die Jahre hat sich das Konzept immer weiter konkretisiert, bis wir 2023 entschieden haben: Das Potenzial ist da, wir gründen RecyCoal. In dieser Phase sind wir auf das Gründungsstipendium NRW aufmerksam geworden, haben uns beworben, das Stipendium erhalten und nahezu zeitgleich die RecyCoal GmbH gegründet. Das Stipendium hat uns im ersten Jahr ermöglicht, den Fokus vollständig auf den Aufbau der GmbH zu legen, ohne sofort persönlich finanziell unter Druck zu stehen. Davor haben wir uns über Nebenjobs finanziert, was unsere Kapazitäten für das Start-up deutlich begrenzt hat. Gerade in der frühen Phase ist es entscheidend, sich mit voller Aufmerksamkeit auf die Entwicklung des Unternehmens konzentrieren zu können – genau das hat das Gründungsstipendium NRW für uns möglich gemacht.

Gab es schwierige Momente, und wie habt ihr diese gemeistert?

Linda: Definitiv – und sie hören auch nie ganz auf. Obwohl wir mit viel praktischer Erfahrung gestartet sind, zeigt sich bei der Umsetzung vor Ort oft, dass manche Dinge in der Praxis deutlich komplexer sind als in der Theorie – besonders im internationalen Kontext.

Gemeistert haben wir diese Herausforderungen durch unser starkes, international aufgestelltes Team. Gemeinsam mit unserem langjährigen Partner Dieudonné Mutaganda haben wir 2024 die RecyCoal Rwanda Ltd. gegründet, die inzwischen ein vierköpfiges lokales Team umfasst. Darüber hinaus arbeiten wir eng mit Partnern im Senegal, in Tansania und in Uganda zusammen.

Diese Zusammenarbeit ermöglicht es uns, Synergien zu nutzen, lokale Expertise einzubringen und unsere Lösungen passgenau an regionale Bedingungen anzupassen. Wir verstehen RecyCoal heute als ein internationales Ökosystem – fast schon eine Familie –, die gemeinsam Pflanzenkohle in der Landwirtschaft voranbringt.

Wie habt ihr eure Finanzierung aufgestellt? Gab es Unterstützung durch Förderprogramme?

Linda: Unsere Finanzierung basiert auf einer Kombination aus Eigenmitteln, Wettbewerbsgewinnen und Fördermitteln. Besonders unterstützt wurden wir durch zahlreiche Innovations- und Gründerwettbewerbe sowie die Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). In dem ersten Jahr unserer Gründung haben wir maßgeblich vom Gründungsstipendium NRW profitiert. Ohne dieses Stipendium hätten wir nicht unsere volle Kapazität auf die Unternehmensentwicklung legen können und vieles wäre auf der Strecke geblieben.

Dank dieser Mittel konnten wir unsere Prototypen entwickeln, Pilotanlagen im In- und Ausland aufbauen und damit den Grundstein für die Gründung der RecyCoal GmbH legen. Das Gründungsstipendium NRW hat uns direkt in der frühen Unternehmensphase unterstützt und ermöglicht, die ersten Schritte strukturiert zu gehen. Darauf aufbauend haben weitere Programme unsere Skalierung begleitet: Die Green Start-up-Förderung der DBU hat uns geholfen, unsere Konzepte und Technologien vor Ort weiterzuentwickeln und an unterschiedliche Rahmenbedingungen anzupassen. Durch das Ignition Programm konnten wir gemeinsam mit Expertinnen und Experten unsere Sales-Strategie schärfen und gezielte Marketingmaßnahmen umsetzen.

Erfolge und Zukunft

Auf welchen Erfolg seid ihr besonders stolz?

Linda: Wir sind besonders stolz darauf, dass wir ein internationales RecyCoal-Ökosystem aufgebaut haben. Mit Teams und Partnern in Ruanda, Senegal, Tansania und Uganda setzen wir unsere Technologie erfolgreich vor Ort um. Dass unsere Idee aus einer studentischen Initiative heraus heute praxisreif und zertifiziert ist, macht uns besonders stolz.

Wo seht ihr RecyCoal GmbH in den nächsten drei bis fünf Jahren? Welche Weiterentwicklungen plant ihr für eure Plattform?  

Linda: In den nächsten drei bis fünf Jahren wollen wir mit RecyCoal Pflanzenkohle-Konzepte innerhalb kompletter Wertschöpfungsketten etablieren. Aktuell liegt unser Schwerpunkt auf der Kaffeeproduktion: Wir setzen unsere Konzepte direkt auf den Kaffeefarmen um und ermöglichen es anschließend Cafés und Röstereien, durch den Kauf von CO₂-Zertifikaten ihre Emissionen direkt innerhalb der eigenen Wertschöpfungskette zu kompensieren.

Parallel arbeiten wir daran, unsere Anlagen und Konzepte weiterzuentwickeln und zu skalieren, immer im Einklang mit den Bedingungen vor Ort. Wir bauen außerdem unser internationales Partnernetzwerk aus, um Synergien zu nutzen und die Klimawirkung unserer Lösungen zu steigern.

Tipps für Gründende

Was war die wichtigste Lektion, die ihr als Gründende gelernt habt?

Linda: Die wichtigste Lektion, die wir gelernt haben: Ideen müssen im Praxischeck bestehen. Theorie und Planung sind wichtig, aber echte Herausforderungen erkennt man erst, wenn man vor Ort umsetzt. Anfangs gingen wir davon aus, dass ein Konzept, das wir gemeinsam mit unserem Partner in Ruanda erfolgreich umgesetzt haben, sich eins zu eins auf Tansania übertragen lässt.

In der Realität haben wir gelernt: Jedes Land ist anders. Netzwerke, Partnerinnen und Partner, Rahmenbedingungen und lokale Strukturen unterscheiden sich teils erheblich. Erfolgreiche Umsetzung erfordert daher individuelle, kontextbezogene Konzepte statt starre, theoretische Pläne. Diese Anpassungsfähigkeit ist heute ein zentraler Bestandteil unseres Ansatzes – ermöglicht durch unser interdisziplinäres RecyCoal Ecosystem, das Expertise aus verschiedenen Ländern und Fachbereichen zusammenbringt. 

Welche Ratschläge würdet ihr anderen Gründenden mitgeben?

Linda: Gerade in der Anfangsphase gilt: „Spaghetti an die Wand werfen und schauen, was kleben bleibt“ – probiert verschiedene Ansätze aus, testet schnell, was funktioniert und was nicht, und passt eure Konzepte kontinuierlich an. Flexibilität, Mut zum Experimentieren und ein starkes Team sind entscheidend, um langfristig erfolgreich zu sein.